Straße ohne Blickkontakt
Digitale Kommunikation beginnt nicht im Netz.
Sie beginnt dort, wo Menschen auf engem Raum aufeinandertreffen, ohne sich zu begegnen: im Straßenverkehr.
Denn was wir online beobachten – impulsive Reaktionen, mangelnder Respekt, schnelle Urteile – ist keine digitale Erfindung. Es ist ein Verhalten, das viele schon lange vorher eingeübt haben. Beim Autofahren.
Wer sich hinters Steuer setzt, wird Teil eines Systems ohne echte Begegnung. Die Kommunikation läuft über Signale: Blinker, Hupen, Lichthupe. Körpersprache aus Metall. Und oft ist sie aggressiv, abweisend, dominant.
Warum? Weil wir in diesem System keine Gesichter sehen. Keine Mimik. Keine Reaktion.
Es fehlt der menschliche Spiegel – die Rückmeldung, die uns sonst davon abhält, zu hart, zu laut, zu schnell zu sein.
Diese Anonymität und Entkopplung von Beziehung finden wir auch auf Social Media.
Wir sehen Meinungen, aber keine Augen. Wir lesen Kommentare, aber keine Stimme.
Das macht es leicht, Grenzen zu verschieben. Zu urteilen, zu verletzen, zu übertreiben – ohne unmittelbare Folgen.
Es heißt oft: „Social Media macht uns rücksichtslos.“
Doch vielleicht zeigt es nur das, was wir längst gelernt haben: Wie man sich nimmt, was man braucht, wenn man glaubt, nicht gesehen zu werden.
In einer digitalen Gesellschaft, in der wir täglich kommunizieren, ohne wirklich im Kontakt zu sein, braucht es neue Formen von Empathie.
Ein neues Bewusstsein dafür, wie tief unser analoges Verhalten unsere digitale Sprache prägt.
Vielleicht ist es an der Zeit, nicht nur anders zu fahren – sondern auch anders zu schreiben, zu teilen, zu reagieren.
Mit mehr Blickkontakt. Auch, wenn keiner zu sehen ist.